Die große Zeit des Korsetts -
das 19. Jahrhundert
Napoleon hatte sein Waterloo und Frankreich hatte wieder seine Aristokratie. Ob das ein Vorteil für die Franzosen war sei dahin gestellt, es war zumindest ein Vorteil für die Korsettmacher. „Zurück zu alten Zeiten“ hieß das Motto.
Die Bürgersfrau trug Biedermeiermode:
Hochgeschlossene Oberteile zu weiten Röcken. Auf den Bällen des Adels und des inzwischen anwachsenden Geld- adels ging es weniger bieder zu. Die Damenroben erinnerten sehr an die Rokokozeit (wenn auch mit weniger Schleifen), weshalb man auch vom zweiten Rokoko spricht. Kaiserin Elisabeth von Österreich (genannt Sissy) lebte in dieser Zeit und war bekannt für ihren Ehrgeiz bezüglich einer schmal geschürten Taille, ebenso Kaiserin Eugenie in Frankreich. Auch die Südstaatenromantik vor dem amerika- nischen Bürgerkrieg (bevor sie vom Winde verweht wurde), gehört zum zweiten Rokoko. |
Bild 9 Biedermeiermode |
Die Korsetts dieser Zeit schnürten nur bis zur Taille ein, denn unterhalb der Taille bestimmten die Reifröcke (in dieser Zeit Krinoline genannt) die Silhouette. Wie im Rokoko hatten sie sehr große Umfänge. Bis zur Mitte des Jahrhunderts war nicht nur die Taille, sondern auch der untere Brustkorb eng geschnürt. Die Korsetts hatten eine Form, die man heute als „stemwaist“ bezeichnen würde und aufwendig ausgearbeitete Brustkörbchen. Frontseitige Schließmechaniken wurden nach und nach entwickelt, bildeten aber bis 1845 noch die Ausnahme.
Die beginnende industrielle Revolution veränderte zur Mitte des Jahrhunderts nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Mode und natürlich die Korsetts. Stahlwaren wurden billiger, der rostfreie Stahl wurde erfunden und so wurde das Fischbein in Korsetts und Reifröcken durch Draht, Spiralfedern und andere Stahlwaren ersetzt. Das Korsett wurde „technischer“: die Schließmechanik machte Schluss mit dem langwierigen Schnureinfädeln und eingepresste Metallösen wurden eingeführt. Letzteres war ein gewaltiger Fortschritt. Vorher mussten die Löcher (von Hand!!) mit Garn umsäumt werden. Die Haltbarkeit solcher sehr teuren Korsetts war sicher gering. Durch den technischen Fortschritt (seit 1846 gab es auch Nähmaschinen) wurde das Korsett zum Massenprodukt. Wer nicht ganz arm war konnte sich eins leisten. Und das taten fast alle Frauen. Um 1860 gab es allein im Stuttgarter Raum an die 6.000 Korsettmacher. |
Bild 10 Ballkleid von 1865, Museum of the Ctiy of New York |
Das läßt allerdings keinen Rückschluß auf Heerscharen supereng taillierter Frauen zu, denn die Durchschnittsbürgerin trug das Korsett vor allem zur Stütze ihrer mütterlichen Rundungen. Es ermöglichte eben auch einer Mutter von 6 Kindern eine respektable Haltung zu bewahren. In dieser Zeit war das Korsett sogar ein Symbol für Ehrbarkeit (wie sich die Zeiten ändern...).
Sehr enge Korsetts gehörten zur Fest- und Abendmode der „feinen Gesellschaft“, wozu nun auch das reiche Bürgertum gehörte. Und natürlich gab es modebewusste Damen, die immer und überall perfekt aussehen wollten und sich deshalb auch im Tageskostüm eng geschnürt zeigten.
Nach der Stemwaist-Phase wurden die Korsetts (ab Mitte des Jahrhunderts) in der Taille kürzer. Es entstand die Stundenglas-Silhouette, die heute als klassische (bzw. viktorianische) Korsettform gilt. Eigentlich wurden die Korsetts damit etwas bequemer. Sie konnten aber noch enger geschnürt werden als ihre Vorgänger, und in dem Fall war es mit der Bequemlichkeit schnell vorbei. Zwischen 1860 und 1870 kamen die Reifröcke aus der Mode, statt dessen kam die Tornüre. Die Korsetts wurden länger - und noch enger, denn nun fehlte der optische Effekt des Reifrocks. Ab 1880 wurden die Röcke extrem eng, daher wurde die Formung der Hüften immer wichtiger, was nur mit sehr langen Korsetts möglich war.
Bild 11 Kleider mit Tournüre |
Pünktlich zum Jahrhundertwechsel war die gerade Korsettfront wieder modern (hatten wir das nicht schon einmal?). Diese Straight-front-Korsetts sollten den Tragekomfort verbessern, indem konzeptionell weniger Druck auf die Magengegend ausgeübt wurde.
Selbst die Herrenmode war nicht ganz korsettfrei. Nach den Dandies entdeckten vor allem die Herren Offiziere das Korsett als Mittel zu würdevollem, steifen Auftreten. Diese Korsetts waren allerdings nicht auf Taillenreduktion ausgelegt, es sei denn ein Bäuchlein musste plattgedrückt werden.
Weltkriege und Weltanschauungen - das 20. Jahrhundert
Von der Bequemlichkeit her hatte das Straight-front-Korsett sicherlich seine Vorteile, doch irgendwie war es auch ein wenig unspektakulär. Daher wurde die Taille zuerst von der Seite her enger und dann auch im Rücken. Es entstand das S-Line-Korsett, benannt nach der S-förmigen Kurve, die das Rückgrat darin machte. Extreme S-Line-Korsetts verändern Gang und Haltung sehr: die Brust wird nach vorn gedrückt und der Po nach hinten. Erleichternd für die Damen war nur, dass die Röcke etwas weiter wurden. Diese Mode hielt sich bis ca. 1910. Danach wurde eine sehr schmale, gerade Silhouette modern. Korsetts gab es zwar immer noch, doch unterschieden sie sich stark von der klassischen Form. Statt der Taille wurden nun vor allem Hüften, Po und Oberschenkel eingeschnürt. Auch die kurze Modewelle der Humpelröcke fällt in diese Zeit. Bild 12 Eine Fotografie von ca. 1910. Die S-Form ist hier deutlich, aber nicht extrem. Auch die darauffolgende Mode sehr schmaler Schnitte deutet sich bereits an. |
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Mit dem ersten Weltkrieg war die große Zeit des Korsetts vorbei, auch wenn die erwähnten Hüftkorsetts noch bis in die 20iger Jahre getragen wurden. - Was waren die Gründe? -
Oft wird die um die Jahrhundertwende eingeführte Reformkleidung genannt, weit geschnittene, bequeme Kleider die ohne Korsett getragen wurden und der Gesundheit dienen sollten. Doch diese Kleider wurden nur von einer Minderheit getragen und nie zu größeren Festen oder offiziellen Anlässen, schon eher in der Freizeit zu sportlichen Betätigungen im Freien. Auch diverse Warnungen vor Korsetts wegen angeblicher Gesundheitsgefahren können nicht der Grund für dessen Fast-Verschwinden gewesen sein, denn diese gab es bereits seit der Barock-Zeit. Die Gründe sind vielfältiger.
Bild 13 Reformkleider |
Zwei Weltkriege hintereinander konfrontierten einen Großteil der Europäer mit anderen Sorgen als einer schmalen Taille. Relevant war auch die Erfindung des BHs (in der heutigen Form seit ca. 1930), der eine Hauptfunktion des Korsetts, das Stützen der Brüste, übernahm. Auch korsettähnliche Unterwäsche aus elastischem Material (später Korseletts genannt) kam auf den Markt. Nicht zuletzt rutschten die Rocksäume ab den 20iger Jahren bis zum Knie hinauf (und später noch höher, wie man weiß). Damit wurde nun auch das Bein zum Blickfang und lenkte vorerst einmal von der Taille ab. In den 50iger Jahren war die schmale Taille wieder gefragt, selbst in der Haute-Couture. In Frankreich wurde das guêpière, eine Art Leichtkorsett erfunden und vor allem unter Showkostümen getragen. Doch die Emanzipationsidee, die sich ab den 60iger Jahren stark ausbreitete, führte dazu, dass das Korsett regelrecht verpönt wurde. |
Es galt nun als Symbol für die Unterdrückung der Frau, genauso wie es einmal ein Symbol für die reiche und mächtige Frau und ein Symbol für die ehrbare Frau war. Korsetts waren von da an nur noch bei Showstars, in Theatern, als Reizwäsche für Fetischisten und (in der Lack- und Ledervariante) im Rotlicht- und SM-Milieu anzutreffen.
Erst in den 80iger Jahren fanden sich Freunde dieses Kleidungsstücks (die es immer gegeben hatte) in etwas größerer Zahl zusammen, das Wissen der letzten „echten“ Korsettmacher (die vor allem in England zu finden waren) wurde soweit als möglich an Nachfolger weitergegeben und ein kleiner aber wachsender Markt für qualitativ hochwertige Korsetts entstand.
Die Korsetts der heutigen Zeit sind vielfältiger als sie je waren. Zum einen gibt es eine größere Auswahl an Materialien, zum anderen sind heute Korsettformen möglich, die früher nicht sinnvoll gewesen wären, beispielsweise Unterbrustkorsetts (denn es gibt ja nun BHs) und natürlich bedienen wir uns heute im Bedarfsfall bei allen Korsett-Stilen die es je gegeben hat.
Ein neues Jahrtausend beginnt -
das 21. Jahrhundert
Die Zeiten, wo eine Frau genötigt war ein Korsett zu tragen, sind zum Glück lange vorbei. Noch nicht ganz vorbei ist die Zeit der Ächtung des Korsetts in großen Teilen der sogenannten „normalen“ Gesellschaft. Immerhin ist es nicht mehr so schlimm wie noch vor 20 Jahren. Damals musste ein Frau sehr viel Mut haben, wenn sie sich in der Öffentlichkeit dazu bekennen wollte, heute genügt ein gutes Maß Selbstbewusstsein. Korsetts haben inzwischen sogar wieder ihren Platz in der aktuellen avantgardistischen Mode gefunden (Stand: 2011).
So vieles hat das Korsett schon symbolisiert. Im 21. Jahrhundert könnte es zum Symbol für Individualität und die Freude am Schönen werden, insbesondere an der Schönheit der Frau.